Solidarität mit den Demonstranten in der Türkei: Am Samstag finden in vielen Städten Aktionen statt. Ein Gespräch mit Düzgün Altun
Interview: Gitta Düperthal
Düzgün Altun ist Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand der vorwiegend türkischen DIDF (Föderation der Demokratischen Arbeiter Vereine)
In zahlreichen europäischen Städten sind zum Wochenende hin Solidaritätsaktionen für die Demonstranten in der Türkei geplant. Was ist in Deutschland vorgesehen?
Am Samstag wird es in Köln eine Großdemo und ein Konzert geben, wir werden unsere Solidarität aber auch in München, Braunschweig, Siegen, Düsseldorf, Mannheim, Freiburg und anderswo zeigen. Die Menschen in der Türkei kämpfen für ihre Grundrechte, für ihre Meinungsfreiheit – und wir wollen sie dabei unterstützen. Zugleich wollen wir die demokratische Öffentlichkeit in Deutschland darüber aufklären, wie die türkische Regierung die Weltgemeinschaft täuscht, wenn sie behauptet, Fortschritte in Richtung Demokratie zu machen. Ministerpräsident Recep Erdogan hat in den vergangenen Tag gezeigt, daß die Türkei keineswegs so demokratisch ist, wie sie sich gibt.
Es wird hier in Deutschland am Samstag einige spontane Kundgebungen geben, auch Mahnwachen, mit denen wir verdeutlichen, daß wir den Menschen in der Türkei beistehen. Viele beobachten sorgfältig, was dort los ist – seit drei Tagen nämlich macht die Regierung Jagd auf Leute, die an den Demonstrationen teilgenommen haben. Wir protestieren auch dagegen, daß Hunderte verhaftet wurden.
Gewalt gegen Demonstranten ist in Deutschland nicht unbekannt – erst am 1. Juni hatte die Polizei in Frankfurt am Main bei den antikapitalistischen Blockupy-Protesten auf Demonstranten eingeprügelt. Ihre »Föderation der Demokratischen Arbeiter Vereine« (DIDF) hatte später angekündigt, es müsse versucht werden, die Protestbewegungen in der Türkei und in Deutschland zusammenführen – gelingt das?
Die Attacke der Polizei auf die gewaltfreie Demonstration in Frankfurt ist ein Beispiel dafür, wie auch hierzulande zunehmend Gewalt angewandt wird – diejenigen, die in den sozialen Bewegungen aktiv sind, wissen das sehr gut. Gegen diese Gewalt müssen wir uns gemeinsam wehren.
Die Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an den Zuständen in der Türkei ist wahrscheinlich auch deswegen so seicht ausgefallen, weil sie sehr gut weiß, daß die Polizei in Frankfurt nicht viel anders vorgegangen ist als die türkischen Sicherheitskräfte: Am 1. Juni wurden immerhin 1000 Menschen über Stunden eingekesselt und somit ihrer Freiheit beraubt. Dabei wurden auch Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen getreten.
Die Flüchtlinge, die am Berliner Oranienplatz kampieren, haben vergangenen Montag ebenfalls einen Eindruck davon bekommen, wie die Polizeigewalt hierzulande aussieht. Auch die Umweltbewegung hat diese Erfahrungen gemacht. Natürlich wird schon vor diesen Polizeieinsätzen stigmatisiert – da ist dann die Rede von gewaltbereiten Autonomen, von schwarzer Kleidung, Gewaltbereitschaft usw.
Christiane Benner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, wird bei der Solidaritätsdemonstration am Samstag in Köln sprechen. Haben die Gewerkschaften ihre Zurückhaltung aufgegeben, sich politisch einzumischen?
Das würden wir uns wünschen. Aber die deuschen Gewerkschaften haben von der Polizeigewalt bisher noch wenig zu spüren bekommen – anders als etwa demonstrierende Schüler oder streikende Studenten. Insofern neigen die Gewerkschaftsführungen zur Zurückhaltung, sie sind zwar solidarisch mit den Demonstranten in der Türkei, sehen aber nicht die Probleme im eigenen Land.
Welche Rolle spielen denn die Gewerkschaften in der Türkei bei den Protesten?
Eine der größten ist die »Kamu Emekçileri Sendikalar Konfederasyonu« (KESK) – sie und die »Konföderation der Revolutionären Arbeitergewerkschaften der Türkei« (DSK) hatten zu Demonstrationen aufgerufen, bei denen vor allem Lehrer und Beschäftigte in den Bildungseinrichtungen mitmachten. Aber auch in der Türkei kritisieren Intellektuelle und linke Aktivisten kritisieren, daß ein Großteil der Gewerkschaften sich zurückhält. Dort ist es ebenfalls noch nicht gelungen, die verschiedenen Bewegungen zusammenzuführen.
Wenn die deutschen Gewerkschaften sich im eigenen Land stärker für das Grundrecht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit einsetzen würden, wäre es jedenfalls für die Arbeiterbewegung in der Türkei eine große Ermutigung.