Die Regierungskoalition aus SPD, Bündnisgrünen und der FDP kündigt in der Migrations-, Integrations- und Flüchtlingspolitik Verbesserungen an. So werden einige ungelöste Fragen und Probleme der Integrations- und Migrationspolitik benannt und ein Paradigmenwechsel angekündigt. Im Vertrag finden sich Aussagen und Ankündigungen, die Verbesserungen versprechen. Die neue Regierung will „einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird. Dafür brauchen wir einen Paradigmenwechsel: Mit einer aktiven und ordnenden Politik wollen wir Migration vorausschauend und realistisch gestalten. Wir werden irreguläre Migration reduzieren und reguläre Migration ermöglichen.“
Auch wenn der Vertrag stellenweise positive Elemente tragen mag, so bleibt er weit weg vom angekündigten migrationspolitischen Paradigmenwechsel. Konstant bleibt das Festhalten einer Migrations- und Flüchtlingspolitik, die sich am Interesse und Bedarf des deutschen Kapitals orientiert. Gebraucht und gewollt werden qualifizierte und günstige Arbeitskräfte, die für das Kapital unter „günstigsten Bedingungen“ verwertbar gemacht werden sollen. Die bisherige deutsche Migrationspolitik gestaltete sich schon immer auf dieser Grundlage, was langfristige Lösungsansätze verhinderte. Darin liegt auch der Grund, dass die grundsätzliche Unterscheidung in Deutsche und „Ausländer“ stets beibehalten wurde, auch wenn sich die konkreten Bezeichnungen der Bevölkerungsgruppen änderten.
Auch bei der zukünftigen Zuwanderung sollen die Interessen des Kapitals den Takt vorgeben. Die neue Regierung will den Fachkräften aus der ganzen Welt den “gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglichen“, wenn sie ein „Jobangebot zu marktüblichen Konditionen“ vorweisen können. Das deutsche Kapital nutzt nicht nur die Notlage in den Herkunftsländern aus, die Menschen zur Migration zwingt. Es befeuert gleichzeitig die Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Herkunftsländern durch Abwerben von Qualifizierten. Der sogenannte Braindain, die Auswanderung von qualifizierten Fachkräften aus den Herkunftsländern, sorgt dafür, dass sich soziale Krisen in den jeweiligen Ländern verstärken. Dabei wäre es die Aufgabe der Bundesregierung, den hier lebenden Menschen die Möglichkeiten einer qualifizierten beruflichen Aus- bzw. Weiterbildung anzubieten, statt Menschen aus anderen Ländern, wo sie auch dringend benötigt werden, abzuwerben.
Dementsprechend versuchen deutsche Arbeitgeber, sich vor den Ausbildungskosten der hier lebenden Menschen zu drücken und in anderen Ländern ausgebildete Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Es ist inakzeptabel, dass die Grenzen Deutschlands nur für das Kapital nützliche Fachkräfte geöffnet werden sollen. Aber nur das bezweckt die Ampelregierung.
Es fällt auf, dass der Vertrag einen überwiegend wertschätzenden Stil gegenüber von Migrantinnen und Migranten trägt. Das unterscheidet ihn von der Feder des Innenministers der Vorgängerregierung, der in der Migration die „Mutter aller Probleme“ sah. So verspricht die Ampelkoalition die Normalisierung der jahrelang von der Regierungspolitik tabuisierten Doppelstaatsbürgerschaften. Versprochen wird die Ermöglichung von Mehrfachstaatsangehörigkeiten. Wir als DIDF setzen uns seit Jahren für die Erleichterung der Einbürgerung ein und für die Abschaffung aller Hindernisse, die das Zusammenleben, die gegenseitige Annäherung und die Einheit der Werktätigen unterschiedlicher Herkunft gefährden oder hemmen.
Die Erlangung der Staatsbürgerschaft des Landes, in dem Migrantinnen und Migranten arbeiten und leben, ermöglicht zum einen den Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten und politischen, rechtlichen und sozialen Teilhabemöglichkeiten und zum Anderen stärkt sie das Zugehörigkeitsgefühl und fördert die Integration in die Mehrheitsgesellschaft. Die doppelte Staatsbürgerschaft befeuert hingegen, dass hier lebende Migranten von den jeweiligen ausländischen Regierungen instrumentalisiert und in Loyalitätskonflikte eingefangen werden. Seit Jahren beobachten wir, dass die türkische Regierung die Identifikation mit der Türkei aktiv befördert und die Türkeistämmigen für ihre eigenen außen- und innenpolitische Zwecke mobilisiert. Die doppelte Staatsbürgerschaft wird die Einflussmöglichkeiten der türkischen Regierung gefährlich befeuern und damit die Integration der Türkeistämmigen erschweren.
Sicherlich kann und mag die doppelte Staatsbürgerschaft insbesondere aus Sicht von Menschen mit starken Wirtschaftsbeziehungen zum Herkunftsland und für die älteren Generationen wichtig sein. Und dass man die besondere Situation von Generationen berücksichtigen möchte, die Bedenken vor einer Einbürgerung oder Schwierigkeiten beim Spracherwerb haben, ist sicherlich zu begrüßen. Schlussfolgernd ist allerdings anzumerken, dass die Ausführungen zur Staatsangehörigkeit im Koalitionsvertrag unzureichend sind.
EINBÜRGERUNG BEFÖRDERN
Die Verkürzung der Aufenthaltsdauer auf fünf Jahre ist wichtig. Harte Einbürgerungsvoraussetzungen wie „ausreichendes Einkommen“, „ausreichender Wohnraum“, „ausreichende Deutschkenntnisse“, „Verfassungstreue“ und „Einbürgerungstests“ bleiben hingegen bestehen. Es ist daher anzunehmen, dass das Festhalten an entscheidenden Ausschlusskriterien, die Einbürgerung durch die alleinige Verkürzung der Aufenthaltsdauer nicht steigen wird. Migrantinnen und Migranten dürfen nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie im Niedriglohnsektor arbeiten müssen und keine bezahlbare Wohnung finden können. Ausgrenzende und hemmende Einbürgerungsvoraussetzungen gehören ersatzlos gestrichen.
MENSCHENRECHTE ALS ENTSCHEIDENDES KRITERIUM
Es wird angekündigt, dass die Einbürgerungsvoraussetzung „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ durch klare Kriterien ersetzt werden soll. Diese Aussage ist sinnfrei und bietet eine Grundlage für einen Missbrauch des Themas durch rassistische Kräfte. Die „Leitkultur“-Debatten der letzten Jahre sind hinlänglich bekannt. Die Kultur und der Lebensstil haben sicherlich persönliche Aspekte. In Deutschland, wo Menschen verschiedener Nationalitäten leben, sollten nicht der „deutsche Lebensstil“, sondern Werte und Menschenrechte das bestimmende Kriterium sein.
WAHLRECHT FÜR NICHT-DEUTSCHE
EU-Bürger dürfen seit 1992 an den Kommunalwahlen in Deutschland teilnehmen, Drittstaatsangehörige jedoch nicht. Aktuell dürfen in 15 von 27 EU-Mitgliedsstaaten auch „Ausländer“ aus Drittstaaten an Kommunalwahlen teilnehmen. Bereits im Koalitionsvertrag der ersten Merkel-Regierung wurde das Wahlrecht für Drittstaatler zugesagt. Seit 16 Jahren wartet es immer noch auf die Einführung. Auch die neue Bundesregierung möchte den seit Jahren in Deutschland lebenden Menschen, die sich nicht einbürgern lassen wollen oder können, die Teilnahme an Kommunalwahlen und Volksentscheiden nicht ermöglichen. Viele Verbände und Initiativen, darunter auch unsere Föderation, hatten in der Vergangenheit mit Kampagnen die Einführung dieses Rechts gefordert. Wir fordern daher das Wahlrecht für alle, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Der Rechtsanspruch auf Teilnahme an Volksentscheiden muss gesetzlich verankert werden.
POSITIVE ENTWICKLUNG BEI FAMILIENZUSAMMENFÜHRUNG
Der Ehegattennachzug war nur möglich, wenn Nachweise von Spracherwerb und Integrationsleistungen im Heimatland erbracht wurden. Mit dem früheren Gesetz wurde den Ehegatten vorgeschrieben, bereits im Herkunftsland Deutschkenntnisse zu erwerben. Dass dieser Menschenrechtsverstoß nunmehr aufgehoben wird, ist wichtig. Die bisherige Vorschrift führte dazu, dass Zehntausende Paare unter großen Anstrengungen und finanziellen Einbußen das Recht bekamen, als Eheleute zusammenleben zu können.
BEKÄMPFUNG VON DISKRIMINIERUNG UND FREMDENFEINDLICHKEIT
Zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung sendet der Koalitionsvertrag Botschaften in die richtige Richtung. So werden in Bezug auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt, Unterstützung der Demokratie und Kampf gegen den Rechtsextremismus die Entwicklung von neuen Strategien zugesichert. Der Kampf gegen Antisemitismus, Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma, Schwarze, Frauen, Muslime und Queere ist in jeder Hinsicht sehr wichtig. Dazu verspricht der Vertrag unabhängige Studien und die Installierung von unabhängigen Beschwerdestellen auf Bundes- und Länderebene. Für eine konsequente Bekämpfung von rassistischen Strukturen muss die Bundesregierung aber die NSU-Akten wieder öffnen, damit die rassistischen Banden in den staatlichen Behörden zerschlagen werden können und die Rolle des Verfassungsschutzes und polizeilicher Behörden offenlegen. Der Kampf gegen Rassismus kann nur dann gelingen, wenn gleichzeitig langfristige Lösungen gegen die sozialen Probleme von Migranten (Wohnungs-, Bildungs- und Arbeitslosigkeit) ausgearbeitet werden. Dafür braucht es auf kommunalen, Landes- und Bundesebene konkrete Lösungen, die Errichtung von und Initiativen, die sich mit den Problemen in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auseinandersetzen. Unser Verband begrüßt Initiativen, die zum Ziel haben, ein antifaschistisches Bewusstsein und den Kampf gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung zu entwickeln. Wir bestärken daher unsere Forderung nach einem Verbot von faschistischen Organisationen und rassistischer Propaganda, die härtere Bestrafung von rassistischen Übergriffen und die Suspendierung von Rassisten und Faschisten aus dem Staatsdienst.
KEIN PARADIGMENWECHSEL IN DER ASYLPOLITIK
Die Verwendung eines „humanitären Narrativs“ in Bezug auf die Asylpolitik verpufft schnell. Man sucht im Vertrag vergeblich nach einem Willen, die eigentlichen Fluchtursachen zu beseitigen. Solange Waffenexporte weitergehen, solange weiter auf imperialistischen Kriege gesetzt und auf der bestehenden Wirtschafts- und Klimapolitik beharrt wird, wird man die Fluchtursachen nicht beheben. Wir fordern den Schluss von Waffenexporten und das Ende von Militarisierung und Kriegseinsätzen. Wir fordern das Recht auf Asyl. Die europäische Abschottungspolitik, die zum Tod von Menschen im Mittelmeer führt und Drittstaaten zu sicheren Staaten erklärt, muss sofort beendet werden. Wir erteilen einer Migrations- und Integrationspolitik, die Menschen in „unnütz“ und „nützlich“ eine klare Absage!
Wir fordern:
- Verbot von Diskriminierung, Nein zu Spaltung. Für Gleichberechtigung.
- Einbürgerung fördern und erleichtern! Die längst überfällige Kürzung der Aufenthaltsdauer bei Einbürgerungen ist wichtig. Wir fordern daher, dass alle bestehenden Hindernisse für die Einbürgerung beseitigt werden.
- Bei der Einbürgerung müssen Menschenrechte als Maßstab genommen werden, nicht „die deutsche Leitkultur“
- Wahlrecht für alle „Drittstaatler“, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.
- Konsequenter Kampf gegen strukturellen Rassismus und Entlassung und Suspendierung von Rassisten und Rechtsterroristen vom Staatsdienst.
- Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht und muss allen zuerkannt werden!
- Fluchtursachen bekämpfen, nicht Geflüchtete! Stopp von Waffenexporten!
Wir fordern eine Integrations- und Migrationspolitik, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht die kapitalistischen Verwertungsinteressen. Geflüchtete brauchen das Recht zum Spracherwerb sowie auf menschenwürdige Unterkunft und Arbeitsbedingungen!
Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF)