In türkischen Gefängnissen sitzen unzählige politische Gefangene, darunter hunderte Journalisten und viele Kinder und Jugendliche. Bei der Lösung der kurdischen Frage beharrt die AKP-Regierung auf Krieg und Gewalt. Die Soziale Ungerechtigkeit im Land wird immer größer. Frauen und ihre Rechte werden mit Füssen getreten. Andersdenkende werden diskriminiert und verfolgt. Islamistische Mörder werden in die Freiheit entlassen. Angesichts dieses Gesamtbilds ist es blanker Hohn, von einem demokratischen Wandel zu sprechen.
Die Türkei wird in der europäischen Öffentlichkeit seit Jahren als aufsteigender Stern am Himmel der Wirtschafswelt bejubelt. Der seit nunmehr 10 Jahren amtierende türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) werden von deutschen Politikern und Medien als „große Demokraten“ gefeiert. Ein aktuelles Beispiel war der Versuch der Verleihung des renommierten Steiger Awards. Massenproteste hatten jedoch verhindert, dass Erdogan sich sein Preis abgeholt hat. Am 31. Oktober ist Erdogan erneut in Deutschland und trifft sich mit der Bundeskanzlerin. Wir die Föderation der demokratischen Arbeitervereine rufen erneut zu Protesten an dem Tag in Berlin auf.
Unterdrückung der politischen Opposition
Unter der AKP-Regierung gingen die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei unvermindert weiter. Im Jahresbericht 2011 der „amnesty international“ zur Türkei heißt es u.a.: „Nach wie vor fanden Strafverfahren statt, mit denen das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt wurde. Vorschläge zur Einrichtung unabhängiger Mechanismen zur Wahrung der Menschenrechte wurden nicht umgesetzt. Es trafen weiterhin Berichte über Folter und andere Misshandlungen ein. Ermittlungen und Strafverfahren gegen Beamte mit Polizeibefugnissen in solchen Fällen waren noch immer ineffektiv. Auch im Berichtsjahr fanden (…) zahlreiche unfaire Gerichtsverfahren stat“
In der Regierungszeit der AKP verdoppelte sich die Gesamtzahl der Inhaftierten. Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen zufolge sitzen über 11.000 Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung in türkischen Gefängnissen. Seit Ende 2001 wurden weltweit knapp 33.000 Verfahren mit dem Tatvorwurf „Terrorismus“ eingeleitet. Rund 15.000 dieser Verfahren laufen vor türkischen Gefängnisssen. Allein diese Zahl zeigt, dass jegliche politische Opposition unter dem Vorwand der „Terrorismusbekämpfung“ staatlicher Verfolgung ausgesetzt ist. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Angeklagten um Kommunalpolitiker, Gewerkschafter, Studierende, Umweltschützer oder Vertreter anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen, die die Regierung kritisierten und sich für demokratische Rechte einsetzten.
Kurden auf der Zielscheibe
Besonders betroffen von den Repressionen sind das kurdische Volk und dessen Repräsentanten. Die Zahl der seit 2009, im Rahmen der so genannten KCK-Operation verhafteten kurdischen Oppositionellen, darunter Kommunalpolitiker, Funktionäre der Partei für Frieden und Demokratie (BDP), Journalisten und Intellektuelle, wird aktuell auf über 7.000 beziffert. Der Einsatz für die demokratische Lösung der kurdischen Frage oder für die Einführung eines Unterrichts in kurdischer Muttersprache reicht aus, um als „Terrorist“ vor Gericht gestellt zu werden.
Auch die AKP-Regierung setzt die Politik der Gewalt und Krieges gegen die Kurden fort. Angebliche Stellungen der PKK werden dies- und jenseits der Grenze bombardiert, was zahlreiche Todesopfer unter der Zivilbevölkerung fordert.
Krieg im Inneren und Äußeren
Die Erdogan-Regierung, die seit längerem einen Krieg im Inneren gegen die Demokratiebewegung, andersgläubige und Kurden führt, verschärft auch ihren außenpolitischen Kurs gegen Nachbarländer, um eine Vormachtstellung der Türkei auch im Nahen Osten zu installieren. Während die Regierungspartei AKP und auch die ultranationalistische MHP, auf Grundlage der
Anti-Terrorgesetze der türkischen Armee am 4.10.2012 eine Interventionsermächtigung auch für die kurdischen Gebiete Syriens erteilten, stimmten Sozialdemokraten (CHP), die
Vereinigung der Kongress der Völker (HDK) und die kurdische BDP gegen einen Kriegseinsatz.
Mit dem Beschluss des Parlaments ist die Türkei nun befugt jederzeit in andere Nachbarländer einzumarschieren. Auch in syrisch-kurdische Gebiete. Somit spitzt sich die Kriegsgefahr weiter zu. Ein Krieg zwischen der Türkei und Syrien hätte fatale Folgen für die gesamte Region im Nahen Osten.
Gewerkschafts- und Arbeiterrechte wie vor 200 Jahren
Die Türkei ist Mitglied der G20-Staaten. Aufgrund des Wirtschaftswachstums wird sie als „China Europas“ bezeichnet. Dass diese hochgelobte wirtschaftliche Entwicklung nur durch die enorme Vertiefung der sozialen Ungerechtigkeit und die weitere Beschneidung von Arbeiterrechten möglich war, wird allzuoft verschwiegen. Während das Land auf der Liste der stärksten Wirtschaftsnationen an 17. Stelle geführt wird, belegt sie nach UN-Angaben auf dem „Index Menschlicher Entwicklung“ Platz 77. Seit Amtsantritt Erdogans gingen die Reallöhne in der Türkei um 20 Prozent zurück. Die Auslandsverschuldung stieg um das 2,5-Fache. Jährlich sterben 1.100 Arbeiter bei Arbeitsunfällen,
Damit die Unternehmer ungestört ihre Profite steigern können, wird das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung weiter eingeschränkt. Gewerkschaftlich organisierte Arbeiter werden entlassen. Wer sich für bessere Arbeitsbedingungen und Gewerkschaftsrechte einsetzt, setzt sich dem Polizeiterror aus.
Journalisten hinter Gittern
In der Türkei sitzen aktuell über 100 Journalisten hinter Gittern. Auch in ihrem Fall spricht die AKP-Regierung von „Terroristen oder gewöhnlichen Kriminellen, die nicht wegen ihrer journalistischen Tätigkeiten inhaftiert“ seien. Die internationale Journalistenorganisation „Reporter ohne Grenzen“ führt dagegen die Türkei auf der „Rangliste Pressefreiheit 2011“ auf Platz 148.
Kinder und Jugendliche als „Staatsfeinde“
In türkischen Gefängnissen sitzen derzeit über 2.000 Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren. Den meisten von ihnen wird vorgeworfen, an Demonstrationen in kurdischen Städten teilgenommen und Polizisten mit Steinen beworfen zu haben. Täglich werden Berichte über die Mißhandlung und Vergewaltigung von inhaftierten Kindern bekannt, wobei die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Die Zahl der inhaftierten Studierenden, deren einziges Verbrechen in der Teilnahme an Protestaktionen gegen Studiengebühren etc. liegt, beläuft sich auf über 600.
Frauen und ihre Rechte werden mit Füssen getreten
Die Absicht der AKP-Regierung, die Türkei zu einem religiös orientierten reaktionären Staat zu machen, wird am besten in der Frauenpolitik sichtbar. Ob Reformen im Bildungswesen, oder Änderungen im Strafrecht, alle Regierungsvorhaben verfolgen das Ziel, Frauen aus dem gesellschaftlichen Leben zu verbannen und zu gehorsamen Müttern und Ehefrauen zu machen. Die Folge dieser Politik drückt sich in der Statistik aus: Gewalt an Frauen nimmt zu. Im letzten Jahrzehnt stieg die Zahl der von ihren Männern getöteten Frauen um das 14-Fache.
Glaubensfreiheit oder abweichende Lebensstile bleiben auf der Strecke
Auch im Bereich Glaubensfreiheit ist die Türkei von den Normen eines demokratischen Rechtsstaates meilenweit entfernt. Religionsgemeinden wie die Aleviten, die nicht zur islamischen Hauptströmung der Sunniten zählen, warten nach wie vor auf ihre Rechte und werden rechtlich wie gesellschaftlich diskriminiert. Das kürzlich gefällte Skandalurteil über das so genannte Sivas-Urteil ist das letzte Beispiel dafür. Mit der Begründung, die Tat sei verjährt, stellte ein Strafgericht in Ankara das Verfahren gegen fünf Personen ein, denen die Beteiligung an einem Pogrom an hauptsächlich alevitischen Intellektuellen und Jugendlichen vorgeworfen wurde. Im Jahre 1993 waren in der Stadt Sivas 35 Menschen von einer fundamentalistischen Horde verbrannt worden. Die jetzt in die Freiheit entlassenen Mörder konnten trotz internationaler Haftbefehle unbehelligt ihr Leben weiterführen. Erdogan kommentierte das Urteil mit den Worten, es möge den staatlichen und nationalen Interessen der Türkei dienen.
Auch Kriegsdienstverweigerer, Homosexuelle und Transgender oder Angehörige nationaler Minderheiten gehören wie die Aleviten zu den Bevölkerungsgruppen, die einer ständigen Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung ausgesetzt sind.
Internationale Solidarität tut Not
Angesichts dieses Gesamtbildes kann im Hinblick auf die Türkei nicht vom demokratischen Wandel die Rede sein. Sie ist auch nicht geeignet, als Modellstaat für den Nahen Osten und die im Umbruch befindlichen Länder in der Region angepriesen zu werden, wie das die EU bei jeder Gelegenheit wiederholt. Ganz im Gegenteil: Statt Erdogan Rückendeckung für seine kriegstreiberische Politik im inneren und äußeren zu gewähren, müssen die undemokratischen Praktiken der Erdogan-Regierung angeprangert werden. Die demokratischen Kräfte in der Türkei brauchen die Unterstützung der demokratischen Öffentlichkeit in der EU. Wir rufen Sie auf, sich mit der kurdischen Bevölkerung, den Gewerkschaftern, Journalisten, Frauen und Jugendlichen in der Türkei und mit ihrem Kampf für Demokratie, Frieden und Gleichberechtigung einzusetzen. Protestieren sie mit am 31.Oktober Gegen Erdogan- für Frieden und Demokratie!