Die diplomatischen Beziehungen zwischen derTürkei und Deutschland intensivieren sichwieder. In den vergangenen Jahren haben vor allemdie Erklärungen, die Erdogan über Deutschlandmachte, die Inhaftierung von deutschen Staatsbürgern in derTürkei und das Verbot gegen Erdogan und seineMinister,Wahlkampf in Deutschland zu betreiben, fürSpannungen gesorgt. Nun kommt Erdogan am28. und 29.September für einen Staatsbesuch nach Deutschland.
Die Spannungen zwischen derTürkei und Deutschland, bis sie das heutige Maß erreicht haben, gehen bis zu den Gezi Protesten 2013 zurück. Nachdem Millionen Menschen gegen das Unterdrückungsregime auf die Straßen gingen, verkündete Erdoǧan, dass diese Proteste vom „Westen“ gelenkt seien, vor allem von Deutschland und der Europäischen Union. Daraufhin stoppte die EU, auf Drängen Deutschlands, die Beitrittsverhandlungen für die Türkei in die EU. Seitdem nahm die Spannung immer weiter zu. Den Höhepunkt erreichte sie wohl mit der Inhaftierung des„WELT“-Journalisten Deniz Yücel.
Die Türkei beschuldigte deutsche Unternehmen der „Unterstützung von terroristischen Organisationen“, woraufhin Deutschland die wirtschaftlichen Investitionen in der Türkei begrenzte und die „Hermesbürgschaften“ (Exportkreditversicherung der BRD) einschränkte. Die Türkei wiederrum stoppte die Modernisierung von Panzern (die sie aus Deutschland beziehen).
Daraufhin folgten halb geheime, halb offene Verhandlungen, bei denen Erdoǧan einen Schritt zurück machte. Deniz Yücel wurde im Februar diesen Jahres, ohne vor ein Gericht gestellt zu werden, mit einem Privatflugzeug nach Deutschland zurückgeschickt. Anschließend wurden Schritt für Schritt die inhaftierten deutschen Staatsbürger frei gelassen. Zuletzt wurde der Journalistin und Dolmetscherin Meşale Tolu, nachdem sie zuvor zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt und mit einem Ausreiseverbot belegt wurde, die Ausreise doch gestattet.
In dieser Zeit hat Erdoğan versucht seinen Einfluss auf die Türkeistämmigen in Deutschland zu nutzen und gegen Angela Merkel Druck aufzubauen. So rief er dazu auf, bei der Bundestagswahl im September 2017 keinen deutschen Parteien die Stimme zu geben (es hatten sich in unterschiedlichen Bundesländern AKP-nahe Parteien gegründet und aufgestellt). Der letzte Akt war den Fußballspieler Mesut Özil für seine Wahlkampagne zu benutzen, was schlussendlich, nach der Kritikwelle, die Özil erwartete, zu seinem Ausstieg aus der deutschen Nationalmannschaft führte. Außerdem verweigerte er deutschen Ministern den Besuch von Bundeswehrsoldaten, die im türkischen Incirlik stationiert waren.
Wenn wir uns die Entwicklungen anschauen, sehen wir, dass die BRD Druck auf die Türkei aufbauen kann, bis diese einen Rückzieher macht. Der Grund hier für sind natürlich die ökonomischen, politischen und militärischen Beziehungen, auf die die Türkei angewiesen ist. Die Türkei kann weder auf die Investitionen der 6500 deutschen Firmen auf türkischem Boden, noch auf die Waffenimporte aus Deutschland verzichten. Deshalb hatte die deutsche Wirtschaft schon immer, damit ihre Interessen in der Türkei gewahrt werden können, gute Beziehungen zu allen Regierungen zuvor, auch zu Putschisten. Und weil die Herrschenden in der Türkei wissen, dass die deutsche Türkeipolitik, mit ihrem Außenhandel, den Importen und der Lieferung von Waffen, wichtig ist, sind sie stets darum bemüht, die Beziehung ausgeglichen zu halten und beziehen sich darauf, schon lange „Waffenfreunde“ zu sein.
Die Spannung ist nicht voll beseitigt, was also ist die Lösung?
Dass die Spannung der letzten 4-5 Jahre mehr Schaden als Nutzen gebracht hat, ist klar. Vor allem für die Türkeistämmigen in Deutschland war es eine schwierige Zeit, in der Vorurteile von den Türkeistämmigen gegen die deutsche Bevölkerung, aber auch von der deutschen Bevölkerung gegen die Türkei und Türkeistämmige zugenommen haben. Türkeistämmige und deutsche Arbeiter, die seit Jahren gemeinsam im gleichen Betrieb, in der gleichen Firma arbeiten, haben, anstatt über ihre gemeinsamen Probleme zu sprechen, die Spannungen zwischen den beiden Ländern zum Thema gehabt oder überhaupt nicht mehr miteinander gesprochen. Kommen nach dem Stress jetzt die Flitterwochen? Zwar haben die Spannungen dafür gesorgt, dass die Werktätigen plötzlich auf unterschiedlichen Seiten standen, doch die finanziellen Beziehungen der beiden Länder haben sich auch in diesem angespannten Zeitraum kaum verändert. Die Firmen beider Länder haben sich weiterhin gegenseitig Waren verkauft. Obwohl die BRD für ihre Waffenverkäufe an die Türkei immer wieder starker Kritik ausgesetzt ist, hat sie weder das von vielen Akteuren geforderte Waffenembargo verhängt, noch die Beziehungen vollständig gekappt.Verhandlungen haben zwar nicht mehr an der Oberfläche stattgefunden, doch haben sie weiterhin stattgefunden.
Beide Staatsoberhäupter sprechen nun davon ein „neues Kapitel“ aufzuschlagen, nicht weil sie ihre Fehler erkannt haben, sondern weil sie es aus ihren finanziellen Interessen tun müssen. Die Notwendigkeit kann für beide Länder so dargestellt werden:
Türkei:
Durch die Spannungen mit Deutschland und dem restlichen Europa hat Erdoğan vor allem den Nationalismus weiter angefacht und unter den Nationalisten Stimmen gesammelt. Jetzt braucht er die Konflikte mit Deutschland und der EU für die nächste Wahl nicht mehr. Der von ihm aufgepumpte Nationalismus wird noch eine Weile anhalten. Sein autoritäres Regime ohne die Waffen und die wirtschaftliche Unterstützung Deutschlands auszubauen, wird nicht reichen, wie die letzte Währungskrise erneut gezeigt hat. Die türkische Wirtschaft, die ein Drittel ihres Außenhandels mit Deutschland betreibt, hält weitere Spannungen nicht aus. Auch weiß Erdoğan, dass solange die Beziehungen zu Deutschland sich nicht normalisiert haben, auch die Beziehungen zur EU nicht besser werden. Die Beziehungen zu den USA sind ebenfalls angespannt. Also will das Regime die Beziehungen zu Deutschland verbessern, um die Kosten der Krise, die noch längere Zeit andauern und sich noch zum Schlechteren entwickeln wird, einzudämmen. Dass Erdoğan an Berlins Tür klopft, zeigt in welcher schwierigen Lage er sich befindet.
Deutschland:
Deutschland ist nicht bereit den türkischen Markt, dem es seit Jahren Waffen verkauft und in den es investiert, anderen imperialistischen Staaten zu überlassen. Selbst in der höchsten Spannungsphase wurden die Handelsbeziehungen nicht auf Eis gelegt. Dazu kommen noch die wichtigen Waffenexporte und andere Beziehungen. Der größte Vorteil Erdoğans ist, dass selbst wenn die Beziehungen zu einer imperialistischen Macht angespannt sind, er die Möglichkeit hat, mit einem anderen imperialistischen Staat zu handeln. Deutschland istsehr bemüht darin, eine Vorreiterrolle in der Weltpolitik zu spielen. Die türkische Finanzkrise und die Spannungen mit den USA kommen gerade recht, um die wirtschaftliche und politische Macht der BRD in der Türkei auszuweiten. So sind die Regierung, die Parteien des Kapitals und die Medien alle gemeinsam darum bemüht, die Spannungen mit der Türkei abzubauen.
Die Angriffe auf die Demokratie, Menschenrechte, Pressefreiheit werden als zweitrangige Probleme angesehen. Diese Dinge werden die Beziehung zwischen den beiden Ländern nicht erschüttern. Deshalb ist es umso wichtiger, jetzt diese heuchlerische Politik der BRD aufzudecken. Angefangen mit dem Stopp der Waffenverkäufe an die Türkei, muss die Bundesregierung in vielen Bereichen unter Druck gesetzt werden.
Wenn die Interessen übereinstimmen, schließen sie Frieden
Wenn wir uns die Erklärungen und Handlungen der deutschen sowie der türkischen Regierung anschauen, sehen wir erneut, dass die politischen und wirtschaftlichen Interessen ausschlaggebend sind. Für diese Interessen sind die Herrschenden beider Länder genauso bereit gegeneinander vorzugehen, wie sie auch bereit sind Frieden zu schließen, wenn es das erfordert. Diejenigen, die darunter leiden, sind die Werktätigen beider Länder. Die kapitalistischen Staaten werden immer wieder Interessenskämpfe führen. Dass sie heute nicht streiten, heißt nicht, dass sie es morgen nicht wieder tun werden. Die einzige Lösung ist, dass die türkeistämmigen und deutschen Werktätigen gemeinsam für ihre Interessen, für ihre gemeinsame Zukunft und für ein besseres Zusammenleben kämpfen.