60 Jahre ist es her, als die ersten sogenannten Gastarbeiter aus der Türkei mit ihrem wenigen Hab und Gut in ihren Koffern in Deutschland ankamen. Vor allem wurden sie angeworben als Arbeiter, aber in den Augen von Medien, Politik und Wirtschaft waren sie noch keine Menschen, keine Bürger. Sie waren Gäste und sollten bald wieder gehen. Im Grunde brauchte man sie nur, man wollte sie aber nicht wirklich haben. „Gäste“ war ein Kompromiss, denn von einem Gast erwartete man, dass er irgendwann mal wieder ging.
Die Gastarbeiter sammelten sich in den Ballungsgebieten, vor allem Industriemetropolen und wurden Teil des deutschen Wirtschaftswunders. Sie schrieben mit an der Geschichte, blieben aber allesamt unbekannt. Ähnlich wie in Geschichtsbüchern von Cäsars Triumphen, Alexanders Eroberungen oder Kleopatras Pyramiden gesprochen wird, während die Soldaten und Arbeiter mit keiner Silbe erwähnt werden, wobei sie es doch waren, die mit ihrem Blut bezahlten, verblassen die Gesichter der am Band großer Automobil oder Stahlbetriebe hart arbeitenden Türkeistämmigen Gastarbeiter.
Gekommen für ein Paar Jahre, um mit dem Angesparten sich in der Heimat etwas aufzubauen, blieben sie, weil sie eine neue Heimat fanden. Kinder und Ehepartner wurden nachgeholt, mit der Zeit wurden die ersten Kinder sogar hier geboren. Sie gingen hier zur Schule, spätere Generationen studierten. Sie oder ihre Nachfahren eröffneten Geschäfte, kauften Eigentum, wurden Wissenschaftler, Anwälte, Pfleger und Erzieher.
Im 60. Jahr des Anwerbeabkommens zwischen der Türkei und Deutschland organisiert die Föderation Demokratischer Arbeitervereine am Freitag, den 29. Oktober 2021 zwischen 13 und 17 Uhr eine Online-Fachtagung zum Thema „60 Jahre Migration und Zusammenleben in Deutschland“. Mit vielen Expertinnen und Experten soll auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Migration aus der Türkei geschaut werden.
Die Eröffnungsrede wird der Investigativjournalist Günter Wallraff halten, der mit seinem erfolgreichen Sachbuch „Ganz unten“ die Verhältnisse der GastarbeiterInnen sehr gut beschrieb.
In der ersten Sitzung wird Prof. Dr. Karen Schönwälder (Max-Plank-Institut Göttingen, Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften) über die Entwicklung der Integrationspolitik in Deutschland, wesentliche Meilensteine, aktuelle Diskussionen und weiterhin bestehende Defizite referieren.
Zum Thema „Gleichberechtigte Teilhabe? Zur sozialen Lage der Türkeistämmigen in Deutschland“ spricht Prof. Dr. Helen Baykara-Krumme (Universität Duisburg-Essen). Ihr Vortrag umfasst die Themen Entwicklung der Integration über die Zeit und über die Generationen, im Vergleich zu anderen Herkunftsgruppen.
Zum Thema „Von der Gastarbeiteraussendung zur Diasporapolitik – die Politik der Türkei und die „Deutschtürken“ wird Murat Çakır (Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen) referieren. In dem Block wird es um die Entwicklung der türkischen staatlichen Politik gegenüber den Türkeistämmigen in Deutschland/Europa und die Darstellung der aktuellen Bestrebungen gehen, die MigrantInnen und ihre Nachkommen an sich zu binden.
Wie es um die Integration und dem Zusammenleben heute steht, wird Charlotte Wohlfarth erklären. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Sachverständigenrats für Integration und Migration.
Yusuf As vom geschäftsführenden Vorstand der DIDF wird das Thema „Was lehrt uns der Blick für die Zukunft“ beleuchten und einen Ausblick wagen.
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