Neues Deutschland vom 08.04.2005:
Türken, die heimlich ihre alte Staatsbürgerschaft annahmen, dürfen nicht an der NRW-Wahl teilnehmen
Von Jochen Bülow
Eingebürgerter Ausländer, die erneut ihre alte Staatsangehörigkeit annahmen, haben die deutsche damit wieder verloren. Und auch die Berechtigung zur Teilnahme an einem Urnengang wie der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.
Ahmed Gürcük (Name geändert) lebt seit 24 Jahren in Deutschland. Seine Frau hat er in Köln kennengelernt, die beiden Kinder gehen im Stadtteil Kalk zur Schule. Alle Gürcüks haben den Pass mit dem Bundesadler – doch alle leben unter der Drohung der Festnahme und Ausweisung. Möglich ist das, weil Vater Ahmed den Beteuerungen des türkischen Konsulates glaubte: „Nehmen Sie die türkische Staatsbürgerschaft doch einfach wieder an, die Deutschen merken das gar nicht“, bot ihm ein Konsulatsbeamter nach dem Erwerb der deutschen und der dazu erforderlichen Ausbürgerung aus der Türkei an. Doch seit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahr 2000 werden doppelte Staatsbürgerschaften nur im Ausnahmefall anerkannt. Türken erhalten eine solche meist nicht.
„Ich wollte nicht alle Brücken abbrechen“, erklärt der 52-jährige Ford-Arbeiter. Nicht nur emotional hat beispielsweise die türkische Staatsbürgerschaft große Bedeutung für die Betroffenen: Wer nicht Türke ist, kann nach türkischem Recht keine Erbschaft antreten, Rentenansprüche geraten in Gefahr und auch die Rückkehr als Rentner kann Schwierigkeiten verursachen. So wie Ahmed Gürcük haben nach weitgehend ungesicherten Schätzungen Zehn- wenn nicht Hunderttausende Ausländer Notausgänge zwischen Einbürgerungswillen und praktischen Nachteilen gesucht. Sie nahmen nach der deutschen wieder die alte Staatsangehörigkeit an.
Mit der Landtagswahl scheint Bewegung in die Angelegenheit zu kommen. Nur Staatsbürger sind wahlberechtigt, und zwischen Rhein und Ruhr könnten hunderttausende türkischstämmiger Bürger das Zünglein an der Waage sein. Und weil diese Bevölkerungsgruppe mit großer Mehrheit sozialdemokratisch wählt, will die NRW-CDU genau wissen, ob die vermeintlichen Doppelstaatler wählen gehen. Das brächte dem Einzelnen bis zu fünf Jahre Haft. Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern verabredete, dass eingebürgerte Ausländer behördlich auf diese Tatsache hingewiesen werden sollen. In Köln gehen in diesen Tagen knapp 7000 Briefe zur Post. Darin werden eingebürgerte Türken gefragt, ob sie eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen und darauf hingewiesen, dass diese automatisch zum Verlust der deutschen geführt hat.
Mit weiteren drastischen Folgen: „Mit der Aufgabe der Staatsbürgerschaft verliert der Betroffene seinen legalen Aufenthaltsstatus, seine Arbeitsgenehmigung, darf staatliche Leistungen wie Sozialhilfe oder Wohngeld nicht mehr beziehen. Ehen und der Status von Kindern sind noch völlig ungeklärte Fragen“, zeigt Dagmar Dahmen, Leiterin des Kölner Ausländeramtes die Folgen. Wie in Köln wollen Ausländerämter juristisch gegen jeden vorgehen, der als „Doppel-Staatsbürger“ die Wahlkabine aufsucht.
Jörg Detjen von der Kölner PDS kritisiert, dass mit „Kanonen auf Spatzen geschossen wird“. Die PDS-Ratsgruppe hat den Landesdatenschutzbeauftragten angerufen. Türkische Verbände und Vereine befürchten, dass ihre Mitglieder zum Spielball übergeordneter Interessen werden könnten. Die CDU nutze die Angelegenheit, um der Türkei EU-feindliches Verhalten vorzuwerfen. Und die Türkei befördere den Eindruck, dass eine Aufgabe der türkischen Staatsbürgerschaft mit unkalkulierbaren Risiken verbunden sei. „All das“, so Hüseyin Avgan von der „Föderation der Demokratischen Arbeitervereine e.V. (DIDF)“, befördere die Integration „ganz sicher nicht“.
Ahmed Gürcük hofft nun auf die Einzelfallprüfung. „Ich arbeite hier, zahle meine Steuern und bin bestimmt kein Krimineller.“ Zur Landtagswahl will er vorsichtshalber nicht gehen: „Fünf Jahre Haft ist mir die erste demokratische Abstimmung meines Lebens nicht wert.“