„Einmaliger Kraftakt“, „das größte Programm in der deutschen Geschichte“. Wenn es darum geht, die Dimensionen des von den schwarz-gelben Koalitionspartnern beschlossenen „Sparpakets“ zu beschreiben, ist man alles andere als sparsam. Die Union und FDP haben ein „Paket“ geschnürt, wonach der Bund bis 2014 80 Mrd. Euro einsparen wird. Anders und richtiger ausgedrückt: die Koalitionäre werden in den nächsten vier Jahren Sozialausgaben in Milliardenhöhe kürzen. Da bis März 2011 keine Wahlen anstehen, wurde somit das lange erwartete und auch allgemein bekannte Vorhaben der Bundesregierung auch im Detail beschlossen und bekannt gegeben. Zugleich trat das Erwartete ein, nämlich dass die Lasten der Krise und die Kosten der Rettungspakete für Banken, Konzerne und den Euro denen aufgebürdet werden, die am wenigsten haben, und dass die Verursacher der Krise wieder einmal ungeschoren davon kommen.
Wenn man sich das „Sparpaket“ im Detail anschaut, wird das offensichtlich. Die vorgesehenen Kürzungen im Sozialbereich machen einen Großteil aus. So soll z.B. das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Drittel der Kürzungen übernehmen. Um der Kürzungsorgie der schwarz-gelben Koalitionspartner einen „ausgewogenen, gerechten und fairen“ (FDP-Chef Westerwelle bei der Vorstellung der Kürzungen) Touch zu verleihen, wurden auch Abgaben für Finanzgeschäfte in das Paket aufgenommen. Bei den Letzteren handelt es sich jedoch um Luftschlösser, da es hier nicht über Absichtserklärungen hinausgeht. Die für Fluggesellschaften bzw. die Bahn vorgesehenen Abgaben sollen als weiterer Beweis für die vermeintliche Ausgewogenheit des Pakets dienen und es wird verschwiegen, dass sie unmittelbar zu Belastungen für Flug- bzw. Fahrgäste führen werden.
Gewerkschaften und Oppositionsparteien, aber auch Sozialverbände haben nach Bekannt werden der Kürzungspläne erbitterten Widerstand angekündigt. Wie Ernst sie es meinen, werden wir am 12. Juni erleben. An diesem Tag finden in Stuttgart und Berlin Demonstrationen unter der Losung „Wir zahlen nicht für eure Krise“. Dass es ein nicht nur meteorologisch heißer Sommer und Herbst werden wird, kann man auf jeden Fall schon heute vorhersagen.
Kürzungsvorhaben im Einzelnen:
SOZIALLEISTUNGEN: Dieser Bereich, der mehr als die Hälfte des Bundeshaushaltes ausmacht, ist am stärksten von den Kürzungen betroffen. Grundsätzlich sollen bisherige Pflichtleistungen verstärkt in Ermessensleistungen umgewandelt werden – etwa bei Eingliederungshilfen für Jobsuchende. Dies wird damit begründet, dass angeblich der Anreiz zur Annahme einer Arbeit erhöht werden soll. Vorschläge zur Bündelung von Fördermaßnahmen für Erwerbslose soll eine interministerielle Arbeitsgruppe erst noch vorlegen.
ZUSCHLÄGE FÜR ARBEITSLOSE: Beim Übergang vom Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld II (Hartz IV) erhalten Erwerbslose bisher Zuschläge für zwei Jahre. Für Alleinstehende gibt es im ersten Jahr bis zu 160 Euro monatlich, im zweiten bis zu 80 Euro. Verheiratete erhalten das Doppelte. Diese Zuschläge sollen ersatzlos wegfallen, was Kürzungen in Höhe von ca. 200 Millionen Euro im Jahr bedeutet.
HARTZ-IV-EMPFÄNGER: Bei ihnen sollen die Beiträge zur Rentenversicherung (1,8 Milliarden Euro im Jahr) eingespart werden. Auch das Elterngeld von 300 Euro monatlich wird gestrichen. Für die Staatskasse bedeutet das Einsparungen um 400 Millionen im Jahr.
ARBEITSLOSENVERSICHERUNG: Sie soll künftig ohne Darlehen oder Zuschüsse auskommen. Dies könnte auf eine Erhöhung des Beitragssatzes über die für 2011 festgelegten 3,0 Prozent hinauslaufen. Die Bundesagentur für Arbeit soll Leistungen stärker nach eigenem Ermessen gewähren können und dadurch ihre Ausgaben zwischen 1,5 und 3,0 Milliarden Euro drücken können.
ELTERNGELD: Die Lohnersatzleistung soll gekürzt werden. Zwar will die Koalition den Höchstbetrag von maximal 1800 Euro im Monat entgegen bisherigen Plänen nicht antasten. Doch werden künftig nur noch 65 statt 67 Prozent als Berechnungsgrundlage genommen, wenn das Nettoeinkommen über 1240 Euro im Monat beträgt. Unterm Strich bedeutet dies Kürzungen in Höhe von 200 Millionen Euro jährlich.
HEIZKOSTENZUSCHUSS: Er soll für Wohngeldempfänger gestrichen werden (Entlastung: 100 Millionen Euro).
SUBVENTIONSABBAU: Die Energiekonzerne sollen für die beabsichtigte Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke Beiträge in Höhe von 2,3 Milliarden Euro jährlich zahlen.
LUFTVERKEHRSABGABE: Für Flugpassagiere ist eine «ökologische Luftverkehrsabgabe» geplant. Sie soll jährlich etwa eine Milliarde Euro einspielen und bei Abflügen von deutschen Flughäfen erhoben und nach Kriterien wie Lärm und Energieverbrauch differenziert werden.
BUNDESWEHR: Bei der Bundeswehr sollen die Strukturen überprüft werden – mit dem Ziel, von 2013 jeweils zwei Milliarden Euro einzusparen. Die Rede ist von einer Reduzierung der Truppenstärke von derzeit 250 000 Soldaten um bis zu 40 000 Berufs- und Zeitsoldaten. Es soll bei einem Wehr- und Ersatzdienst von sechs Monaten bleiben.
BUNDESBESCHÄFTIGTE: Ihre Zahl soll bis 2014 um bis zu 15 000 Stellen sinken. Derzeit gibt es im direkten öffentlichen Dienst des Bundes 129 000 Beamte und 149 000 Angestellte. Die Bundesbeamten müssen zudem mit einer Kürzung ihrer Bezüge um 2,5 Prozent rechnen. Dies soll durch den Verzicht auf die geplante Erhöhung des Weihnachtsgeldes für Beamte im Jahr 2011 erreicht werden und unterm Strich 800 Millionen im Jahr einsparen. Generell sollen die Ausgaben des Bundes pauschal auf mittlere Sicht um 4,4 Milliarden Euro im Jahr gesenkt werden.
FINANZMARKTABGABE: Die schwarz-gelbe Koalition will «zügig» die Voraussetzungen für die Einführung einer neuen Abgabe auf Finanzgeschäfte schaffen. Einnahmen daraus könnten direkt in den Haushalt fließen, so dass weniger gespart werden müsste. Daneben sollen «weitere Maßnahmen zur Kostenbeteiligung auf den Weg gebracht» werden. Die Bundesregierung setzt dabei auf eine internationale oder europäische Vorgehensweise. Sie behalte sich aber auch eine nationale Lösung vor. Angestrebt wird eine Lösung zum 1. Januar 2012. (NeuesLeben)
Dagegen wehren wir uns – und zwar zusammen!
Am Samstag den 12. Juni ist es wieder soweit. Die Bündnisse in Stuttgart und Berlin bereiten sich auf die nächste Protestaktion gegen die Lasten der Krise. In dem Aufruf heisst es: Die Jugend trifft es besonders hart: Weniger Ausbildungsplätze, keine oder nur befristete Übernahmen nach der Lehre, prekäre Jobs und Niedriglöhne nehmen dramatisch zu. Turbo-Abitur, Bachelor/Master- Reformen und Studiengebühren: Leistungsdruck
und soziale Abschottung werden immer drastischer. Gleichzeitig werden die Ausrichtung des Bildungssystems an Standort- und Unternehmensinteressen sowie die Förderung vermeintlicher Eliten weiter vorangetrieben.
Michael Prütz, Pressesprecher des Berliner Bündnisses “Wir zahlen nicht für eure Krise!”
Das Bündnis “Wir zahlen nicht für eure Krise” ruft zu bundesweiten Demos am 12. Juni in Berlin und Stuttgart auf. Was ist das vordergründige Ziel der Demos?
Wir wollen die Menschen mobilisieren, gegen die unsoziale Sparpolitik der Bundesregierung. Hunderte von Milliarden sind in die Rettung der Banken geflossen und weitere hunderte werden jetzt zur Stützung in der sogenannten “Euro-Krise” aufgewendet. Alle diese Maßnahmen der Bundesregierung dienen nur dem Zweck, ein bankrottes und korruptes Profitsystem am Leben zu halten. Dieses Profitsystem soll aufrecht erhalten werden durch Kürzung von Hartz-IV-Leistungen, Lohnkürzungen und Steuererhöhungen für die Masse der Bevölkerung. Die Bundesregierung ist das, was sie ist, eine Regierung des Großkapitals. Demgegenüber setzen wir unsere Forderungen: 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, 10 Euro Mindestlohn und 500 Euro Hartz-IV-Regelsatz, Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine Sonderabgabe für Banken und Konzerne.
Seit Beginn der Krise hat es in Deutschland unzählige Proteste gegeben, auf denen die Beschäftigten ihren Forderungen Nachdruck verliehen. Glauben Sie, dass diese Proteste und die entstandene Bewegung stark genug waren/sind? Wenn nicht, welche Gründe sind dafür verantwortlich?
Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist die Bewegung in Deutschland zersplittert und schwach. Nach der Krise 2008 hat sich gezeigt, dass die Bundesregierung über Reserven verfügt, Kurzarbeitergeld, Abwrackprämie konnten kurzfristig die Menschen beruhigen. Damit ist jetzt aber Schluss, jetzt wird die große Keule rausgeholt. Im Übrigen hat die passive und demobilisierende Haltung des DGB maßgeblich dazu beigetragen, dass die Krisenproteste in Deutschland schwach sind.
Einige Einzelgewerkschaften rufen zu den Demos mit auf. Wie bewerten Sie die Beteiligung der Gewerkschaften an den Vorbereitungen und den vorangegangenen Protesten?
In der Tat gibt es in einigen Gewerkschaften wachsenden Unmut über den Schmusekurs des DGB. Trotz allem sind die gewerkschaftlichen Kräfte, die sich an den Protesten beteiligen, klein und nicht mehrheitsfähig im DGB. Jetzt kommt es darauf an, Druck auf den DGB zu machen, endlich den Protest auf die Straße zu tragen. Die Größe der Demonstration am 12. Juni 2010 wird auch darüber mit entscheiden, ob sich der DGB bewegt oder nicht. Ich sage ganz deutlich: In Anbetracht der Protestwelle, die in anderen europäischen Ländern gerade anrollt, spielt die Mehrheit der DGB-Gewerkschaften eine traurige Rolle.
Was plant das Bündnis für die Zeit nach dem 12.6.?
Gelingt es uns, am 12. Juni 2010 eine wirkliche Großdemonstration zu organisieren, wollen wir im Herbst, wenn die sogenannten Sparmaßnahmen der Regierung anfangen zu greifen, zu weiteren Großaktionen aufrufen. Es wäre sinnvoll, wenn wir im Spätherbst eine große Kundgebung in Berlin mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Griechenland, Spanien, Portugal, Irland, Italien, Rumänien und Frankreich organisieren, um die internationale Dimension der kapitalistischen Offensive aufzuzeigen.