Neun Abgeordnete, die bei den Parlamentswahlen am 12. Juni 2011 in der Türkei gewählt wurden, können nicht ins türkische Parlament einziehen. Dem kurdischen Politiker Hatip Dicle, der im Wahlkreis Diyarbakir als unabhängiger und vom „Wahlbündnis für Arbeit, Demokratie und Freiheit“ unterstützter Kandidaten mit rund 80.000 Stimmen gewählt wurde, wurde vom Hohen Wahlrat das Mandat entzogen. Diesem Bündnis gehören linke, sozialistische, pro-kurdische und gewerkschaftsnahe Parteien und Organisationen an, welche gemeinsam für die demokratische Lösung der kurdischen Frage und für die Demokratisierung des Landes kämpfen.
Der Hohe Wahlrat begründete seine Entscheidung mit der Verurteilung Dicles, der lediglich sein Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch genommen hatte. Acht weitere Abgeordnete, fünf von ihnen kurdische Politiker, die ebenfalls als Kandidaten des Wahlbündnisses ins Rennen gegangen waren, bleiben weiterhin inhaftiert und werden an der Ausübung des Abgeordnetenmandats gehindert.
Das ist das Bild, das die angeblich fortgeschrittene Demokratie der AKP-Regierung widerspiegelt. Die undemokratische 10-Prozent-Hürde bleibt. Das Wahl- und Parteiengesetz schwebt wie andere Gesetze, die die Meinungs- und Pressefreiheit einschränken, wie das Damokles-Schwert über den Köpfen der politischen und gesellschaftlichen Oppositionellen. Die Maßnahmen gegen gewählte Parlamentarier und die Verhinderung des Wählerwillens sind nicht mit Rechtsstaatlichkeit vereinbar. Dieses Unrecht muss sofort beseitigt werden.
Die Entscheidung des Hohen Wahlrates ist nicht nur gegen neun gewählte Parlamentarier gerichtet, sondern in erster Linie gegen die kurdische Bevölkerung. Sie und die anderen, im Wahlbündnis vertretenen Kräfte sollen so eingeschüchtert, ihr Kampf um eine gleichberechtigte und demokratische Türkei verhindert werden. Der Wille des kurdischen Volkes, der auf die Gleichberechtigung zielt, soll mit diesen Repressionen gebrochen werden.
Wir unterstützen das „Wahlbündnis für Arbeit, Demokratie und Freiheit“ und seine gewählten Parlamentarier. Sie boykottieren zurzeit das Parlament und werden ihre parlamentarische Arbeit nur dann aufnehmen, wenn ihre sechs inhaftierten Mitglieder freigelassen werden und ihr Mandat ausüben können. Sie brauchen bei ihrem Kampf auch die Unterstützung der internationalen Öffentlichkeit.
Wir rufen alle demokratischen Kräfte in Deutschland auf, sich mit dem „Wahlbündnis für Arbeit, Demokratie und Freiheit“ zu solidarisieren und seinen Einsatz für eine demokratische Verfassung zu unterstützen. Setzen Sie sich bitte für die Freilassung der inhaftierten Parlamentarier und aller politischen Gefangenen ein!