Am 16. Juli wurde der im Dezember 2007 gegründete linksgerichtete Sender vom Satellitenbetreiber Türksat abgeschaltet. Vorangegangen waren Verfügungen des Innenministeriums der AKP-Regierung und der Medienbehörde RTÜK. Hayat TV (Hayat = Leben) wird vorgeworfen, mit Live-Bildern den kurdischsprachigen Satellitensender Roj TV unterstützt zu haben, der seit 2004 von Dänemark aus per Satellit sendet und dessen Studios in Wuppertal und Berlin auf Anweisung der Bundesregierung im Mai durchsucht und vor wenigen Wochen verboten wurden.
Hayat TV weist den Vorwurf einer Unterstützung von Roj TV zurück. „Wir sind technisch überhaupt nicht in der Lage dazu“, erklärt Programmdirektor Aydin Cubukcu. „Die türkische Regierung ist fest entschlossen, alle Medien zu mundtot zu machen, die nicht von ihr kontrolliert werden.“ In einer Erklärung des Senders heißt es weiter: „Dass ein anderer Sender Bildmaterial ausstrahlte, das wir ebenfalls bei einer Agentur erworben hatten, und der aus dieser Tatsache schlussgefolgerte Vorwurf, wir hätten dem betreffenden Sender Unterstützung geleistet, kann lediglich als stichhaltiger Beweis dafür dienen, dass man unseren Sendebetrieb um jeden Preis unterbinden möchte.“
Auch Kölner Studio betroffen
Auch das Kölner Studio des Senders ist vom Verbot betroffen. Seit der Verbotsverfügung unterstützen die Mitarbeiter in Deutschland eine Solidaritätskampagne, die von der Föderation der demokratischen Arbeitervereine (DIDF) initiiert wurde. „Es ist toll, wie viele Menschen sich mit uns solidarisieren“, sagt der Deutschland-Leiter des Senders.
Nach der Verbotsverfügung haben tausende Menschen eine Petition unterschrieben und Protestfaxe an die türkischen Behörden geschickt. Unter den Unterstützern befinden sich zahlreiche Politiker, Wissenschaftler und Gewerkschafter, darunter die Deutsche Journalistenunion in der Gewerkschaft ver.di und die IG Metall. Die Europa-Politiker Cem Özdemir (Grüne), Sahra Wagenknecht, Tobias Pflüger und Feleknas Uca (alle DIE LINKE) haben den Aufruf unterzeichnet. Auch zahlreiche Landtags- und Bundestagsabgeordnete, unter ihnen Sevim Dagdelen von der LINKEN, haben gegen die Schließung von Hayat TV mit ihrer Unterschrift protestiert
„Wir werden weiter protestieren, bis das Verbot aufgehoben wird“, sagt der Initiator der Kampagne, Hüseyin Avgan. Für viele türkeistämmige Migranten in Deutschland war der junge Sender die einzige Möglichkeit, gewerkschaftsnahe und linke Nachrichten zu sehen. Immer wieder hat der Sender über Mißstände in der Türkei berichtet, so über die katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Werften von Tuzla, wo es fast täglich zu Arbeitsunfällen kommt.
Dorn im Auge der AKP
Damit ist der Sender ganz offensichtlich zum Dorn im Auge der AKP-Regierung geworden. Etwa die Hälfte der Medienlandschaft wird dem islamisch-konservativen AKP-Lager zugerechnet. Gegen diejenigen, die nicht dazu zählen, wird immer öfter vorgegangen. Die Monitoring-Gruppe der unabhängigen Internetkommunikationsplattform hat einen Bericht für die Monate April, Mai und Juni 2008 vorgelegt. Darin werden Verfahren gegen 79 Journalisten geschildert. Viele werfen der AKP vor, Demokratie nur dort zuzulassen, wo sie ihnen nutzt.
Kundgebungen in der Türkei
In der Türkei riefen Gewerkschaften, Wissenschaftler und Vertreter verschiedener Parteien und Frauenorganisationen zu Kundgebungen in Istanbul, Ankara, Izmir und Tunceli auf. Der Vorsitzende der türkischen Journalisten-Gewerkschaft, Ercan Ipekçi sieht einen generellen Angriff auf die Pressefreiheit: „Man versucht, an Gesetzen vorbei Medien mundtot zu machen.“
In Istanbul trafen sich am Freitag zahlreiche Frauen auf dem Taksim-Platz, um gegen die Schließung des Senders zu protestieren. Die Moderatorin der Hayat TV-Sendung „Ekmek ve Gül“ (Brot und Rosen) Sevda Karaca erklärte dort, dass die Zuschauerinnen und Vertreterinnen von Frauenrechtvereinen, mit denen man seit derGründung von Hayat TV zusammengearbeitet hat, heute zusammen gekommen seien, um für ihren Sender einzustehen. Als die Frauen ihre Demonstration starten wollten, wurden sie von der Polizei gestoppt.Die Aktion gegen die Schließung von Hayat TV wurde anschließend zugleich ein Protest gegen Staats- und Polizei-Willkür.
Bei Redaktionsschluss war unklar, wie groß die Chancen für eine Aufhebung des Verbotes sind. Die offiziellen türkischen Vertreter haben sich sehr bedeckt gehalten. Doch der internationale Druck von „einfachen Bürgern“ und Politikern lässt hoffen, dass die türkische Regierung gezwungen wird, Pressefreiheit und Demokratie zuzulassen. (PK)