Keine zwei Wochen ist es her, dass die Bundesregierung den Abzug der 260 Bundeswehrsoldaten, sechs Aufklärungstornados und einem Tankflugzeug aus dem türkischen Incirlik nach Jordanien beschlossen hat, legte Kriegsministerin von der Leyen nun sang und klanglos einen Zeitplan vor. Auffällig ist, dass deutsche sowie türkische Medien nicht permanent darüber berichten und die Stimmung aufheizen, obwohl der Schlagabtausch vor einigen Wochen noch auf eine unschöne Scheidung hindeutete. Die Truppe soll ab Herbst künftig vom jordanischen Stützpunkt Al-Asrak nahe der Südgrenze zu Syrien aus operieren.
Alles beim Alten“
Bereits früher verwehrte die Türkei Besuche deutscher Bundestagsabgeordneter in Incirlik und beide Länder betreiben politisches Kalkül, um jeweils im Inland dem eigenen Volk „Souveränität und Stärke“ vorzugaukeln. Denn der Abzug bedeutet keinesfalls ein Abzug der Bundesregierung aus dem Mittleren Osten und für die Türkei hat es keinerlei militärische Konsequenzen. „Rheinmetall“ hat die Zustimmung für den lukrativen Auftrag zur Aufrüstung türkischer Panzer unabhängig von Incirlik und auch weitere militärische und polizeiliche Zusammenarbeit bleibt unberührt. Rüstungsexporte gehen weiter und die deutschen Aufklärer werden Bilder aus den Kampfgebieten an die türkische Armee liefern und die Türkei wird die kurdische Gebiete im Irak und Syrien weiterhin völkerrechtswidrig mit ihren Jets bombardieren, während Deutschland wegschauen wird. Diese NATO-Waffenbrüderschaft wird trotz des Umzugs nach Jordanien unberührt bleiben. Und beide Regierungen können sich zum eigenen Wahlvolk hin als der „Sieger“ verkaufen.
Spagat in der Türkei-Politik
Die Bundesregierung aber auch die Türkei betreiben jeweils einen Spagat in ihrer Außenpolitik. Einerseits kann und will sich die Merkel-Administration von ihrem Konkurrenten und zugleich Partner mit eigenen Regionalmachtansprüchen nicht auf der Nase herum tanzen lassen und um Unverständnis in der deutschen Bevölkerung zu dämpfen, muss sie sich nun zumindest dem Schein nach von der Türkei abgrenzen. Allerdings will sie noch nicht den menschenverachtenden „Flüchtlingsabkommen“, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die diplomatischen Beziehungen mit Erdogan komplett platzen lassen, da die Türkei als starker Partner in der Region gilt und für spätere militärische oder diplomatische Auseinandersetzungen mit den direkten imperialistischen Konkurrenten Russland und USA für Deutschland sicherlich noch eine wichtige Rolle spielen soll. Diese Partnerschaft wollen beide Länder nicht verlieren – zumindest noch und müssen deswegen die Beine stark spreizen…
Neue und alte Bündnisse
Alle imperialistischen Kräfte buhlen um Zweckpartnerschaften in der Region. Diplomatische und militärische Konfrontation und Zweckbündnisse gehören zum Wesen des imperialistischen Systems und die einzelnen Figuren positionieren und polarisieren sich zu Blöcken, um ihre jeweiligen Interessen am Besten zu wahren. Die imperialen Vormachtsansprüche weisen auf einen scharfen Schlagabtausch in der Zukunft hin, der in einen Weltkrieg münden kann. Und hier will Deutschland mit der Türkei eine Pufferzone zum europäischem Festland auf jeden Fall aufrecht erhalten. Deswegen ist Incirlik keine Scheidung, sondern eine „Freundschaft mit gewissen Vorzügen“.
Die eigentliche Musik spielt hier
Auf internationaler Bühne gaukeln Deutschland und die Türkei eine Scheidung vor, die in Wirklichkeit keine ist. Doch wie wirkt sich das ganze auf die türkeistämmigen in Deutschland und ihre Integration aus, wenn beide Regierungen ihre Politik auch auf dem Rücken von Türkeistämmigen in Deutschland austragen? Eine Abschottung oder Unsicherheit kann zu einer ernsthaften, generationsübergreifenden sozialen Isolation von Migranten, mit ernsthaften negativen Konsequenzen für alle Beteiligten, kommen.
Keine Frage, das Abstimmungsverhalten der Türkeistämmigen beim Referendum zur Verfassungsänderung im Sinne der AKP und die (Neu-)Orientierung vieler Türkeistämmiger zur Türkei verdeutlichen Integrationsdefizite in dieser Gesellschaft. Diese werden angestachelt und weiter aufgeheizt vom türkischen Staat aber auch bestärkt von der Nicht-Integrationspolitik der Bundesregierung. Die Integrationsdebatte wird kulturalisiert und ethnisiert und „Ausländer“ und vor allem „Muslime“ gelten als Synonyme für „Sozialstaatschmarotzer“, „Kriminalität“ oder im Sarrazinschen Sinne als „Unnütz“.
Und diese Ausgegrenztheit und Diskriminierung nutzt die AKP sehr gut aus und kann aus jeder, auch ach so banalen Aktion, wie dem deutschen Incirlik-Abzug ohne großartige Folgen, politisch profitieren. Nicht zuletzt liegt es daran, dass mit Leitkultur und sich zu Deutschland bekennen die Integration zu einer kulturellen oder ethnischen Frage minimiert wird. Jedoch steht sie im direkten Zusammenhang mit der sozialen Frage! Das Gelingen der Integration entscheidet sich daran, wie ihre Situation in der Arbeitswelt, in der Bildung- und Ausbildungsituation, im Zugang zur Gesundheitsversorgung und anderen sozialen Bereichen verbessert und ausgebaut wird. Nur so wird Deutschland es schaffen, das Augenmerk der Türkeistämmigen auf Deutschland zu richten, statt sie weiter in die Arme von Erdogan zu drängen.