Die Türkei ist ein Land, welches in der Vergangenheit durch Putsche viel Leid tragen musste. Noch heute leidet das Land unter einer undemokratischen Verfassung, die in Teilen Ergebnis eines Putsches war. Wie soll unter Anbetracht dieser Tatsache der neue Putschversuch bewertet werden? Niemand, der tatsächlich an die Demokratie glaubt, würde in diesen Versuch Hoffnung setzen. Die Haltung der Bevölkerung gegen den Putschversuch zeigt gleichzeitig den Glauben und die Forderung an ein demokratisches Land.
Die Tatsache, dass der Putschversuch abgewehrt wurde, ist wichtig. Jedoch hat dieser Versuch auch gezeigt, in welch kritischem Zustand sich dieses Land befindet. So kurz nach diesen Ereignissen muss als Folge gelten: Damit solche Versuche und ihre Grundlage komplett aufgehoben werden können, müssen Schritte in Richtung einer echten Demokratie getan werden. Andernfalls wird dieser rückschrittliche Versuch genutzt, um ein Ein- Mann- Regime durchzusetzen, welches die politische Lage im Land noch stärker zum Schwanken bringen und das Land in eine größere Zwickmühle führen wird. Die bisherigen Erklärungen deuten bereits darauf hin.
Während der Zeit des Referendums zur Verfassung im Jahr 2010 war die größte Behauptung der AKP-, Erdogan-Regierung, dass die Änderung die Abrechnung mit der Putsch- Verfassung sein würde und dass es in diesem Land keinen Putsch mehr geben würde.
Was ist also passiert, dass, wenn auch nicht das gesamte Militär, ein Teil des Militärs Mut zu diesem Putschversuch hatte?
Zunächst hat nach den Präsidentschaftswahlen 2014 Präsident Erdogan eine Erklärung abgegeben, dass das Regime sich tatsächlich geändert hat. Die Türkei wurde zu einem Land, welches durch einen Mann regiert wird. In dieser Zeit wurde eine „spezielle Justiz“ durchgeführt, die von einem Mann festgelegt wurde, welcher alle demokratischen Rechte willkürlich ignorierte. Als Antwort auf die herrschende Politik hat die Bevölkerung im Juni 2015 bei den Wahlen dafür gesorgt, dass die AKP nicht die absolute Mehrheit erhält. Das Land wurde in ein Kriegs- und Chaoszustand gebracht, um dann am 1.November Neuwahlen durchzuführen.
Nach den Neuwahlen wurde eine „normale“ Zeit erwartet, aber ganz im Gegenteil wurde die Kriegs- und Unterdrückungspolitik fortgeführt. Intellektuelle und Akademiker, die Frieden forderten, Journalisten, die den Krieg im Inneren und Äußeren aufdeckten, die Bevölkerung, die Demokratie forderte, all diejenigen, die nicht im Sinne der Regierung handelten, wurden zur Zielscheibe gemacht. Die ganzen verfassungswidrigen Handlungen, wie die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten, welche nur zu Putschzeiten möglich wären, wurden und werden noch in dieser Zeit durchgeführt. Diejenigen, die behauptet haben, sie möchten das Land von den Putschgesetzen befreien und somit an die Regierung kamen, haben nach und nach den Willen eines Mannes durchgesetzt.
Nicht nur das. Der Artikel 35 des Gesetzes der Türkischen Streitkräfte (TSK) zum inneren Einsatz der Armee, welches einem Militärputsch eine Stütze sei, wurde 2013 von dieser Regierung verändert. Aus der Definition des Aufgabenbereichs der Türkischen Streitkräfte wurde die „innere Bedrohung“ gelöscht und der Aufgabenbereich auf „äußere Bedrohungen“ eingegrenzt. Alle demokratischen Kräfte im Land haben dies positiv aufgenommen.
Aber was ist dann passiert?
Unter dem Vorwand die nationale Armee stünde in Gefahr wurde auch die Kriegstrommel gerührt und die Erdogan Regierung gründete ein Bündnis mit putschistischen- Ergenekon Kräften. Obwohl zu dieser Zeit die Definition des Aufgabenbereichs geändert war, zog die Armee mit ihren Panzern und ihren Geschützen ins Land und belagerte kurdische Gebiete. Noch vor einigen Tagen hat der Präsident unter dem Namen „Kampf gegen Terror“ ein Gesetz beschlossen, dass die Verurteilung aller Militärbediensteten die Befugnis des Ministerpräsidenten benötigt.
Wir haben während dieser Zeit davor gewarnt, dass die Kriegspolitik die Armee wieder zu einer wirkungsvollen Kraft machen wird, dass die Handlungen der Soldaten außerhalb rechtlicher Prozesse stehe, zu erneuten Militärputschversuchen führen wird.
Heute sehen wir auf schmerzhafte Art, dass wir Recht hatten. Nun muss der Zusammenhang zwischen dem rückschrittlichen Putschversuch und der herrschenden Regierung gesehen werden, sonst sieht die Türkei in eine noch dunklere Zukunft. Die undemokratische herrschende Politik hat die Basis für diesen Putschversuch geschaffen. Zusammenfassend ist der heutige Putschversuch eine militärische Reaktion auf den zivilen Putsch der Regierung. Anders formuliert, es ist eine Konterrevolution in der Konterrevolution. Die Erwartungen der Bevölkerung, die sich gegen den Putsch stellen, sind offen: Eine echte Volksdemokratie, die an den Willen der Bevölkerung gerichtet ist. Und auf dieser Grundlage eine demokratische Verfassung, die durch die Beteiligung aller gesellschaftlichen Bereiche entsteht. Auf dieser Grundlage stehen heute alle fortschrittlichen Kräfte in der geschichtlichen Verantwortung gemeinsam einen Kampf zu entwickeln.