Trotz Allem.
Über 80 000 Menschen protestierten am Samstag, den 08.07.2017, gegen die G-20 Politik und für ein besseres Leben und eine bessere Zukunft. An den Tagen zuvor hatten bereits Zehntausende an unterschiedlichsten Protestaktionen, Alternativkonferenzen und kritischen Kulturveranstaltung teilgenommen.
Wir sagen „trotz Allem“, weil im Vorfeld der Großdemonstration mit allem Mittel versucht wurde den Protest zu schwächen; wenn möglich sogar abzusagen.
Die Debatten, die auf die Proteste folgten, spitzten sich immer weiter zu. Der erste Bürgermeister der Stadt, Olaf Scholz, hat in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht, dass der Druck auf gesellschaftskritische Kräfte erhöht werden wird. Diese Art der Polarisierung noch weiter voranzutreiben ist unverantwortlich. Scholz sucht Sündenböcke und die sind schnell ausgemacht und als „Freiwild“ frei gegeben, und zwar insbesondere die Linke insgesamt, aber auch jede/r, der/die in diesen Tagen die politisch verantwortlichen und die Polizei kritisieren. Dabei sollten sich Herr Scholz und alle Verantwortlichen mal ernsthafte Gedanken darübermachen, warum Junge Menschen so gleichgültig und feindselig handeln.
Um es vorneweg klar zu stellen: Krawallmacher und Randalierer, die Geschäfte plündern, Polizist*innen gezielt angreifen um sie zu verletzen oder Autos in Brand stecken, haben nichts auf unseren Protestaktionen und -veranstaltungen zu suchen. Sie sind weder Ausdruck von schöpferischem, sachdienlichem Protest, noch repräsentieren sie die Geisteshaltung linker Kräfte. Ihnen haben wir es jetzt lediglich zu verdanken, dass wir uns immer wieder dafür rechtfertigen müssen unser demokratisches und legitimes Recht auf Protest wahrgenommen zu haben und das auch in Zukunft zu tun.
Gleichzeitig kritisieren wir jedoch auch die übermäßigen und angeheizten Debatten über den sogenannten schwarzen Block. Durch diese werden Diskussionen über die dürftigen Ergebnisse des Gipfels verdunkelt.
Was war aber passiert?
Seit Monaten wurden in den Medien jegliche Katastrophenszenarien durchgespielt. Insbesondere wie die „Gewaltbereite Linksszene“ die Stadt in „Schutt und Asche“ legen könnte. Diese Entwicklungen wurden geradezu herbei beschworen. Politik und Behörden haben Familien empfohlen, wenn möglich über das Wochenende die Stadt zu verlassen. Bankangestellten und Beschäftigten in den Verwaltungen soll empfohlen worden sein, nicht mit Anzug und Krawatte zur Arbeit zu gehen, weil die „Links -extremisten“ sie angreifen könnten. Übernachtungscamps wurden, obwohl genehmigt, von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Eine weiträumige Verbotszone von 38 Quadratkilometer eingerichtet. Mit über 20 000 Einsatzkräften wurde die Stadt von der Polizei praktisch besetzt; immer mit voller Montur und bereit sofort einzuschlagen. Und wenn man in die Augen und Gesichter dieser Beamt*innen sah, oder sie etwas gefragt hat, merkte man ganz schnell, dass die „Freud und Helfer“ Romantik hier fehl am Platz ist. Für die Polizei war jede/r eine potenzieller Gefährder/Feind. Das hat sie auch am Donnerstag (06.07.2017) bei der Demonstration deutlich gemacht, indem sie aus den Einsatzwägen aufrief sich vom Platz zu entfernen, ansonsten werde „keine Unterscheidung von Gewaltbereiten und friedlichen Protestierenden“ gemacht. Kurz danach griff die Polizei die Demonstration massiv an, obwohl eine Einigung erreicht wurde, und die meisten die Vermummung abgelegt hatten und ohne eine Möglichkeit die Demonstrant*innen lauffen zu lassen. Damit verhinderte die Polizei rechtswidrig eine angemeldete und genehmigte Demonstration aus nichtigen Gründen mit brutalem Vorgehen und verletzte dabei viele Menschen.
Demokratische Rechte außer Kraft gesetzt
An vielen Stellen fanden außerdem seitens der Polizei Übergriffe auf Journalist*innen und Rechtsanwält*innen statt. Journalist*innen wurden daran gehindert Fotos zu machen und zu filmen. Anwält*innen wurden Informationen über die festgenommenen Demonstrant*innen verweigert.
Das Schanzenviertel erlebte in den letzten Tagen die Machtdemonstration eines Polizeistaates. Das martialische Auftreten der Spezialkräfte und GSG9 Einheiten mit Sturmgewähren erzeugte Bilder wie aus einem Bürgerkriegsgebiet. Tausende Menschen im Viertel wurden regelrecht in Geiselhaft genommen. Niemand konnte raus oder rein.
Nicht auszuschließen ist auch, dass sich V-Leute unter die Protestierenden gemischt hatten und für einige Gewaltexzesse sorgten. Das wäre in Hamburg nicht das erste Mal. Bekannt ist der Fall der LKA-Beamtin Iris Plate, die unter den Namen Iris Schneider sechs Jahre lang die Szene unterwanderte und aufflog.
Die unverhältnismäßige Gewalt der Polizei begann bereits früh. Am Dienstagabend (04.07.2017) war das „Antikapitalistische Camp“ geräumt worden. Daraufhin haben sich die Camper*innen verteilt und auf unterschiedlichen Plätzen ihre Zelte aufgeschlagen. Unter anderem mit Einverständnis des Pastors auf einer Wiese vor der St.-Johannis-Kirche an der Max-Brauer-Allee in Altona. Auch die Nachbarn der Kirche haben die Camper*innen mit offenen Armen empfangen und ihnen ihre Hilfe angeboten. Das Deutsche Schauspielhaus, am Hauptbahnhof, hat den Protestierenden die Übernachtung im Foyer erlaubt, was die Polizei zunächst verhindern wollte. Die Theaterleitung setzte gegenüber der Polizei jedoch ihr Hausrecht durch und die meisten jungen Menschen konnten übernachten. Der FC St. Pauli bat Demonstranten ebenfalls Schlafplätze im Millerntor-Stadion an.
Solche Beispiele der Solidarität gab es in der Protestwoche vielerorts in Hamburg.
Die Bewegung braucht keine Krawallmacher oder Randalierer
Anwohner des Schanzenviertels berichten von den Ereignissen Freitagnacht (07.07.2017), bei denen die Polizei lange nicht zu sehen war. An mehreren Stellen wurden Feuer gelegt, Geschäfte geplündert und Autos angezündet. Marodierend und grölend zogen Personen durch die Straßen wie Fußballhooligans, aber die zivilen Beobachter sind der Meinung, dass diese Randalierer weder politisch motiviert, noch Personen aus dem Viertel waren.
Und wenn man die ganze Woche insgesamt betrachtet, haben die Eskalationen am Freitag mehr einen Krawallcharakter als politische Inhalte, die sich gegen die G-20 Politik richten. Ohnehin ist es zweckentfremdet, wenn Protestaktionen zur „Selbstinszenierung“ missbraucht werden. Es ist gänzlich kontraproduktiv eine Massenaktion auf eine Schlägerei mit der Polizei zu reduzieren und zu behaupten, wenn man sich mit der Staatsmacht nicht auf diese Weise auseinander setze, sei es eine inkonsequente Haltung. Antikapitalismus, Klassenbewusstsein und -haltung und Klassenkampf spielen in einer anderen „Liga“, als sich schwarz zu kleiden oder zu vermummen und so die Aufmerksamkeit der Polizei zu provozieren. Diese Art der Auflehnung stellt für die Herrschenden kein „großes Problem“ dar. Ihre größte Sorge gilt einer Widerstandsbewegung, die über die Unzufriedenheit der Menschen große Massen erreicht und sie mit in den Kampf zieht.
Ein bunter und vielseitiger Protest
Hamburg als Austragungsort des G-20 Gipfels auszuwählen war bereits eine Provokation. Warum die Regierung diese Wahl traf, ist vielen Menschen schleierhaft. War es eine Kampfansage an das Linksspektrum und alle Globalisierungsgegner*innen? War das ein Schachzug Merkels, die Hamburger SPD/Grünen Regierung zu schwächen?
Was die herrschende Politik nicht erwartet hatte bzw. versucht hat zu verhindern, ist alllerdings eingetreten. Die Proteste in Hamburg waren nicht, wie angedroht eine „Selbstinszenierung“ der „Autonomen Linken“, sondern wurde von Tausenden getragen. Sie war Bunt und Vielseitig.
Konsequenz der Regierung: mehr reaktionäre Gesetze
Die ersten Reaktionen und Erklärungen zeigen welches Fazit die Regierung aus den G-20 Gipfelprotesten zieht: „Die Regierung hat alles richtig gemacht“. „Die Polizei hat alles richtig gemacht“. Jetzt müssten Maßnahmen her, die die effektive Bekämpfung zukünftigen Widerstands vorbereiten. Noch bevor die Straßen Hamburgs aufgeräumt waren, wurden Stimmen für neue Gesetzesverschärfungen laut. Von allen Seiten der bürgerlich neoliberalen Politik wird eine harte Hand der Regierung gefordert. Der Hass auf Linke-Politik wird enorm angestachelt. Linksszenen wie die Rote Flora in Hamburg werden kriminalisiert und es wird gefordert diese und solche überall in Deutschland zu schließen. Der Innenminister und der Justizminister sprechen von einer europaweiten „Extremistendatei“. Schon jetzt werden Stimmen laut „das Demonstrationsrecht“ neu zu überdenken. Die folgenden Wochen und Monate werden zeigen wie glaubhaft die „Verteidiger der Demokratie“, die „Verteidiger der Verfassung“ und des Rechtsstaats sind. Oder wird hier Wasser gepredigt, aber Wein getrunken?
Die Diskussionen um den G-20 Gipfel werden in den nächsten Wochen andauern. Die Regierung wird die Ausschreitungen für die eigenen Zwecke, wie weitere reaktionäre Gesetze zu verabschieden, oder Linke-Politik zu verunglimpfen, ausnutzen. Sie wird davon ablenken wollen, warum ein derart martialischer Auftritt der Polizei, mit über 20 000 Polizisten, Spezialeinheiten, Wasserwerfern, Räumpanzern, Hubschraubern und einem Kriegsschiff stattgefunden hat. Die Öffentlichkeit erwartet aber eine ehrliche und objektive Aufarbeitung der Ereignisse, die der Frage eine Antwort liefert, wie es zu solch einem skandalösen Gipfelwochenende kommen konnte.