Die Türkei befindet sich an einem wichtigen Scheideweg: das Referendum am 16. April, bei dem die Verfassungsänderung zur Abstimmung steht, wird über die Zukunft des Landes und der Bevölkerung entscheiden. Wir als die aus der Türkei stammenden Werktätigen in Deutschland verfolgen die Entwicklungen in der Türkei aus nächster Nähe und mit großer Besorgnis.
Ungeachtet ihres Stimmverhalten bei früheren Wahlen, ihrer ethnischen Herkunft und ihrer Religionszugehörigkeit rufen wir als Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) die Türkei-stämmigen in Deutschland auf, für Demokratie, Frieden und die Zukunft der Türkei einzutreten und beim bevorstehenden Referendum mit NEIN zu stimmen.
Warum stimmen wir als in Deutschland lebende Türkei-Stämmige beim Referendum der Verfassungsänderung nicht zu?
WIR WOLLEN KEIN AUTORITÄRES EIN-MANN-REGIME, SONDERN DEMOKRATIE!
Denn wir sind der Ansicht, dass es nicht richtig ist, die Führung eines Landes nicht dem Willen der Bevölkerung, sondern eines Einzelnen zu überlassen.
Denn wir sind der Ansicht, dass eine Regierungsform, die die Legislative, Exekutive und Judikative in den Händen eines Alleinherrschers konzentriert und keine Kontrollmechanismen kennt, ein offen autoritäres Regime bedeutet und die ohnehin schwache Demokratie gänzlich abschafft.
Denn die Beteiligung der Bevölkerung an der Politik und Regierung, ihre Rechte und Freiheiten sind nicht ein Geschenk von Präsidenten oder anderen Führern, sondern Voraussetzung und Grundpfeiler der Demokratie.
Mit der Verfassungsänderung soll die Führung der Türkei dem Willen eines Einzelnen überlassen werden. Wir sagen NEIN dazu, damit die Zukunft der Türkei nicht in die Hände eines Einzelnen übergeben wird, damit die Demokratie und der Willen der Bevölkerung nicht abgeschafft werden.
EINE STARKE TÜRKEI IST NUR MÖGLICH DURCH DEMOKRATIE, FRIEDEN UND WOHLSTAND FÜR ALLE!
Es wird behauptet, mit der Verfassungsänderung werde die Ära “einer starken Türkei unter einem starken Führer” eingeleitet. Es trifft zu, dass die Türkei mit den stärksten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Die Last dieser Probleme müssen zurzeit die Arbeiter und Werktätigen in der Türkei schultern, die unter erschwerten Bedingungen ihr Leben meistern müssen. Allerdings wird die Türkei seit 14 Jahren von einem “starken Führer” und einer “starken Regierung” regiert. Ob als Regierungschef, oder als Staatspräsident, es war Erdoğan, der in diesen 14 Jahren die Regierungen und ihre Politik bestimmt hat. Das Grundproblem der Türkei ist also nicht darin, dass es keine “starke Regierung unter einem starken Führer” hatte. Vielmehr sind sie darin zu suchen, ob die verfolgte Politik im Sinne der Bevölkerung lag, ob sie dem Frieden oder dem Krieg diente, ob sie die Interessen von Reichen oder Armen vertrat.
Deshalb bedarf es der eigentlichen Veränderung in der Politik, die das Land zum Terror und Krieg und die Bevölkerung zur Armut und zum Elend führte. Wer heute von der Notwendigkeit der “Befreiung des Landes” spricht, muss zunächst Rechenschaft für ihr bisheriges Handeln mit den vorliegenden Folgen ablegen.
Die Probleme der Türkei sind nicht mit einem Alleinherrscher samt unbegrenzter Befugnisse zu lösen. Vielmehr bedarf es einer Politik, die zur Durchsetzung von Demokratie, Frieden und Wohlstand dient. Es bedarf transparenter demokratischer Mechanismen, die kontrolliert und bei Bedarf ausgetauscht werden können.
In der Tat sind auch wir als Türkei-Stämmige in Deutschland für eine “starke Türkei”. Wir wissen aber, dass der Weg zu einer “starken Türkei” nicht über Krieg, sondern über Frieden führt. Genauso wenig führt er über ein autoritäres Unterdrückungsregime, sondern über Freiheit. Für eine “starke Türkei” bedarf es nicht der Armut, sondern des Wohlstands für alle. Eine “starke Türkei” bedeutet nicht einen “starken-autoritären Führer”, sondern eine starke Volksdemokratie. Dafür braucht es Auskommen, Freiheit und Wohlstand für die Bevölkerung. Deshalb sagen wir NEIN zu diesem Regime unter einem Alleinherrscher, das alle politischen Mechanismen beseitigen würde, welche der Bevölkerung zur Artikulierung ihrer Forderungen dienen.
DEMOKRATIE ODER DIKTATUR – DIESE FRAGE IST ENTSCHEIDEND
Die Politik der Herrschenden in der Türkei, die die Unterschiede in der ethnischen Herkunft und dem Glauben in den Vordergrund rückten, führte die Bevölkerung zu einer Spaltung und Polarisierung bisher unbekannten Ausmasses. Diese Spaltung und Polarisierung soll jetzt auch ins Referendum getragen werden. Die Entscheidung, ob man beim Referendum mit Ja oder Nein abstimmen möchte, versuchen sie mit der ethnischen Herkunft, dem Glauben und der politischen Einstellung zu verknüpfen. Allerdings wird das angestrebte Ein-Mann-Regime, das die Demokratie verdrängen und an den Abgrund bringen wird, alle Menschen gleichermaßen beeinträchtigen – gleichgültig, welche Partei er zuvor gewählt hat, ob er Türke oder Kurde, Sunnit oder Alevit ist.
Diese Polarisierung versucht die AKP-Regierung auch nach Deutschland zu tragen. Ihren Vertretern wird – wie zuletzt in Oberhausen dem türkischen Premier Yildirim – die Bühne für eine Kampagne pro Verfassungsänderung bereitet. Unverhohlen dürfen sie hier Wahlkampf machen und für Zustimmung zu einem undemokratischen Ein-Mann-Regime werben. Wir rufen die Öffentlichkeit in Deutschland auf, gegen diese Spaltung und Polarisierung zu protestieren, die auch den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland gefährdet. Gefragt ist hier auch die Bundesregierung, die in den letzten Jahren aus Sorge um den Flüchtlingsdeal Wahlkampfhilfe für Erdoğan und die AKP-Regierung geleistet hat. Wir appellieren an die demokratische Öffentlichkeit in Deutschland, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, damit sie ihre Unterstützung beendet und dem Treiben der Befürworter des Ein-Mann-Regimes nicht weiter tatenlos zuschaut.
Wir als DIDF sind der Ansicht, dass alle Werktätigen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Glauben dieselben Interessen, Forderungen haben und dasselbe Schicksal teilen. Bei unserer Entscheidung, ob wir beim Referendum mit Ja oder Nein abstimmen möchten, müssen wir uns an der Frage orientieren, ob die Verfassungsänderung im Sinne der Werktätigen und des Landes liegt.
Deshalb rufen wir die Türkei-Stämmigen in Deutschland auf, sich über die zur Abstimmung stehende Verfassungsänderung sowie deren mögliche Folgen zu informieren und dabei nicht von der Herkunft und dem Glauben leiten zu lassen.
Das so genannte “Präsidialregierungssystem”, das angestrebt wird, ist in Europa und der restlichen Welt beispiellos. Entwickelte und starke Länder kennzeichnet nicht die zügellose und unkontrollierte Konzentration aller Macht in den Händen eines Einzelnen, sondern die Existenz von demokratischen Mechanismen, Kommunen und Freiheitsrechten wie Meinungs- und Pressefreiheit.
In europäischen Ländern wurden diese Rechte mit langwierigen Kämpfen erreicht. Regime unter Alleinherrschern in der Geschichte wie Hitler und Mussolini oder in jüngerer Vergangenheit im Nahen Osten und in Afrika führten stets zur Katastrophe und zum Chaos.
Deshalb rufen wir die Türkei-stämmigen Arbeiter, Jugendlichen und Frauen in Deutschland auf, sich für eine Türkei in Frieden und Demokratie zu entscheiden und beim Referendum NEIN zu einer Verfassungsänderung zu sagen, die das Schicksal eine Landes einem Einzelnen überlässt.
Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF)